Mythencheck: Massentourismus durch Kreuzfahrten

Moderne Kreuzfahrtschiffe sind wahre schwimmende Kleinstädte, die regelmäßig in großen und kleinen Häfen anlegen. Immer wieder gibt es den Vorwurf, dass Kreuzfahrtpassagiere die Innenstädte überfluten und so den Massentourismus zusätzlich anheizen. Doch ist das wirklich der Fall?

In diesem Beitrag möchte ich dieser Frage auf den Grund gehen. Sind Kreuzfahrttouristen tatsächlich der entscheidende Faktor für die Überfüllung vieler Städte, oder tragen andere Formen des Tourismus weit mehr zu den Problemen bei? Wie hoch ist der Anteil der Kreuzfahrtgäste an der Gesamtzahl der Besucher? Und welchen Einfluss haben Kreuzfahrtschiffe wirklich auf die Umwelt und die Infrastruktur der betroffenen Städte?

Die Kreuzfahrtbranche wird oft pauschal als das Symbol des Overtourism gesehen. Viele Städte haben mit einem extremen Massentourismus zu kämpfen. Dazu zählen Großstädte, wie Hamburg, Barcelona, oder Rom, aber auch kleinere Städte, wie Venedig, Geiranger oder Dubrovnik. Aber auch beliebte touristische Inseln, wie Mallorca, Santorini oder Mykonos haben mit einem extremen Tourismus zu kämpfen. In diesem Artikel werde ich Zahlen und Fakten gegenüberstellen und herausarbeiten, wie groß der tatsächliche Einfluss der Kreuzfahrt auf den Massentourismus wirklich ist.

Wirtschaftsfaktor Kreuzfahrt

Im Zusammenhang mit dem Massentourismus, wird den Kreuzfahrtgästen oft auch unterstellt, dass die Kreuzfahrt wirtschaftlich meist keine Relevanz für die regionale Wirtschaft hat. Tatsächlich ist das nicht so. Wenn ein Schiff in einem Hafen anläuft werden relativ viele Gebühren erhoben. Dafür profitieren wirtschaftlich die Städte und Regionen. Die Gebühren werden ausführlich in einem weiteren Artikel besprochen.

Zusätzlich fallen möglicherweise weitere Kosten für Lebensmittel, Treibstoff oder Landstrom an. In den Hafenstädten profitieren zudem lokale Arbeitskräfte – sei es direkt durch das Kreuzfahrtterminal oder durch tourismusnahe Branchen wie Ausflugsanbieter, Gastronomie, Einzelhandel, Museen und Freizeiteinrichtungen. Auch wenn Reedereien häufig eigene Ausflüge organisieren, werden diese in der Regel von regionalen Unternehmen durchgeführt.

Auch Kreuzfahrtpassagiere geben während ihres Aufenthalts in den Hafenstädten oft Geld aus. Laut der Deutsche Reisewirtschaft betrugen die durchschnittlichen Ausgaben in Hamburg im Jahr 2019 für Essen, Trinken, Souvenirs oder Ausflüge 48€. Bei ein- und aussteigenden Passagieren lagen die Ausgaben sogar bei 156€. Aufgrund des Status als Heimathafen vieler Reedereien starten oder enden die meisten Kreuzfahrten in Hamburg.

Also wirtschaftlich ist die Kreuzfahrt durchaus ein wichtiger Faktor, gerade in den tourismusnahen Branchen

Auswirkungen auf Städte

Hamburg

Nun kommen wir aber zu den Zahlen. Leider ist es schwer vollständige Zahlen zu finden, da Tagestouristen oftmals nicht erfasst werden. Für den Kreuzfahrttourismus sind die Tagestouristen allerdings relevanter, da auch die Kreuzfahrtgäste in der Regel nur an einem Tag im Hafen sind. Hamburg hat für 2024 16,1 Mio. Übernachtungen angegeben. Dazu kommen 100 Millionen Tagestouristen, die oft für volle Plätze und Straßen, wie den Landungsbrücken, der Einkaufsstraße Mönckebergstraße sorgen. Gerade bei Veranstaltungen, wie dem Hafengeburtstag, CSD, Weihnachtsparade wird es voll in der Stadt. Welchen Anteil an den 100 Millionen Tagesgästen machen nun die Kreuzfahrtgäste. Laut Statista lagen die Zahlen bei 1.3 Mio. Kreuzfahrtgästen, was zwar ein neuer Rekord für den Hamburger Hafen darstellt, jedoch nur einen Anteil von 1.3% an den Tagesgästen beträgt.

Amsterdam

Ein weiteres prominentes Beispiel ist Amsterdam. Amsterdam war in der Diskussion, als beschlossen wurde, das Kreuzfahrtterminal in der Innenstadt 2035 zu schließen. Man muss dazu sagen, dass Amsterdam ein neues Terminal näher an der Nordsee plant, um die Besucherströme besser zu regulieren. Das Kreuzfahrtterminal in Amsterdam wird außerdem eher von kleinen Schiffen angelaufen. Die großen Schiffe finden in Amsterdam keinen Platz und legen im westlich von Amsterdam gelegenen Ijmuiden oder meistens in der Stadt Rotterdam an. Kurz nach Veröffentlichung durch die meisten Nachrichtensendungen gab der Port of Amsterdam eine Pressemitteilung am 24.07.2023 heraus, in der er klarstellte, dass der Hafen weiterhin geöffnet bleibt, trotz einiger Berichte über eine mögliche Schließung. Kreuzfahrtschiffe werden wie geplant im Hafen anlegen. Die aktuelle Situation hat keinen Einfluss auf bereits gebuchte Anläufe oder Veranstaltungen im Terminal. Die für 2024 veröffentlichten Zahlen zeigen 20 Millionen Tagestouristen bei ca. 200,000 Kreuzfahrtgästen, was einen Anteil von 1% ausmacht. Bei anderen Großsstädten sind es meist ähnlich aus.

Kleinere Städte

Wie sieht es aber in kleineren Städten aus? In den großen Städten haben wir gesehen, macht der Kreuzfahrttourismus eher einen kleinen Anteil aus.

Beginnen wir doch mal mit Venedig. Venedig steht sein jeher als Inbegriff für den Massentourismus. Vor einigen Jahren wurden die Liegeplätze für Kreuzfahrt von der Altstadt in der Lagune nach Maghera aufs Festland verlegt, um die Bausubstanz der historischen Stadt nicht weiter zu beschädigen. Jedoch erfolgt das Einchecken für eine Kreuzfahrt weiterhin in der Altstadt. Man steigt dann in einen Bus, welcher von den Behörden versiegelt wird und erst wieder am Schiff in Maghera geöffnet werden darf. Die Besucherströme wurden dadurch also nicht angepasst. Ab 2027 sollen auch wieder Schiffe bis zu einer Bruttoraumzahl von 60.000 wieder in der Altstadt festmachen dürfen.

Wie sieht es hier nun konkret mit Zahlen aus. Genaue Tageszahlen habe ich leider nicht, jedoch wurden in den ersten 3 Tagen nach der Einführung einer Tagesgebühr für Tagestouristen über 117,000 Tagesgäste gezählt. Die Deutsche Reisewirtschaft gab 2019 für Venedig 28 Mio. Touristen an, wovon 5% Kreuzfahrtgäste waren. Auch hier macht der Kreuzfahrttourismus keinen eklatant hohen Anteil aus.

Auf Santorini sieht es etwas anders aus. Santorini und auch Mykonos wurden aber lange Zeit als Kreuzfahrtstandort vermarktet. In Santorini liegen die Schiffe meist vor der Insel in der Caldera und die Gäste werden dann mit Tenderbooten an Land gebracht. Die Landungsstelle liegt relativ weit unten und die Zuwegung beläuft sich entweder über eine Treppe, oder über eine kleine Straßenzuwegung per Straße, worüber auch die Ausflugsbusse abgefertigt werden. Wenn mehrere Schiffe in der Caldera liegen kann es durchaus eng werden. Hier liegt es aber an der Kommune sinnvolle Maßnahmen, wie eine Beschränkung an Schiffen zu beschließen. Vor kurzem wurde für Santorini und Mykonos eine zusätzliche Gebühr von 20€ pro Kreuzfahrtgast beschlossen. Ob diese Gebühr eine sinnvolle Lösung ist oder gar in eine bessere Steuerung der Besucherströmung investiert wird, darf bezweifelt werden.

Auch auf Mallorca wurden Maßnahmen zur Regulierung getroffen. Der Tourismus sorgt jedoch eher für andere Probleme auf der Insel. Allen voran sorgen die Partygelage und Saufgelage am Ballermann und den Stränden oftmals für Unmut bei den Anwohnern. Viele Mallorquina können sich kaum noch eine Wohnung in Palma leisten, weil es für die Vermieter oft lukrativer ist, die Wohnungen über AirBnB an Touristen zu vermieten, als dauerhaft an Einheimische. Die Kreuzfahrtschiffe sind dabei eher das kleinere Übel. Diese Touristen sind am Abend wieder in ihren fahrenden Hotels und belegen keine Wohnungen auf der Insel.

Dann möchte ich noch gerne 2 extreme Beispiele beleuchten. Hellesylt und Geiranger im Geirangerfjord sind ein beliebtes Ziel der Fjordkreuzfahrten durch Norwegen. Hierbei handelt es sich um 2 Fischerorte mit jeweils ungefähr 250 dauerhaften Bewohnen. In der Tourismussaison liegt die Zahl bedeutend höher. Während des Winters ziehen viele Leute in die größeren Städte, wie Ålesund. Die Zahl der Touristen ist zwar durch die großen Schiffe enorm, ist jedoch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Orte würden ohne den Tourismus vermutlich kaum noch existieren, wie mir bei meiner Kreuzfahrt in die Fjorde von Einheimischen erzählt wurde. Natürlich müssen die Tourismusströme gut gemanaged werden. um eine Überlastung der Orte zu vermeiden. Gerade Geiranger ist komplett auf den Tourismus mit Kreuzfahrten ausgelegt. Norwegen hat mittlerweile aber auch eine Beschränkung an Kreuzfahrtschiffe beschlossen, auch im Hinblick auf ökologische Faktoren. So dürfen nur noch Schadstoffarme Schiffe, die mit LNG oder Strom angetrieben werden, die Fjorde befahren.

Das 2. extreme Beispiel für den Massentourismus durch Kreuzfahrten ist Nassau, die Hauptstadt der Bahamas. Nassau ist in Bezug auf den Kreuzfahrttourismus eines der markantesten Beispiele weltweit. Trotz seiner vergleichsweise kleinen Größe verfügt die Stadt über einen riesigen Kreuzfahrthafen, der regelmäßig von den größten Kreuzfahrtschiffen der Welt angelaufen wird. In der Hochsaison können hier an einem einzigen Tag bis zu sechs riesige Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig liegen, darunter auch zwei Schiffe der Oasis-Klasse sowie die Icon of the Seas, allesamt von Royal Caribbean. Dies führt dazu, dass Nassau an diesen Tagen mit einer enormen Zahl an Kreuzfahrttouristen überflutet wird, was die Stadt oft stark belastet.

Dennoch ist der Kreuzfahrttourismus von großer wirtschaftlicher Bedeutung für die Bahamas, und das Land fördert ihn aktiv. Dies spiegelt sich auch in der Nähe des Kreuzfahrtterminals wider, wo sich das beeindruckende Atlantis Resort befindet – ein gigantisches Ferien- und Freizeitresort, das für Kreuzfahrttouristen eine der Hauptattraktionen darstellt. Das Resort zieht jährlich Millionen von Besuchern an und trägt maßgeblich zur Bedeutung des Tourismussektors für die Wirtschaft der Bahamas bei.

Fazit

Ja, Massentourismus durch Kreuzfahrtschiffe gibt es, stellt in vielen Fällen jedoch kein Problem dar. Die Kreuzfahrtbranche wird häufig als Symbol für Overtourism kritisiert, während andere Formen des Tourismus weniger im Fokus stehen. Eine differenzierte Betrachtung zeigt jedoch, dass viele populäre Reiseziele auch ohne Kreuzfahrttourismus mit großen Besucherströmen zu kämpfen haben.

Inzwischen haben viele Städte Maßnahmen zur Begrenzung der Anzahl an Schiffen eingeführt. An Orten, wo der Kreuzfahrttourismus besonders ausgeprägt ist, hängt die lokale Wirtschaft häufig stark von diesem Tourismussektor ab oder wird sogar aktiv gefördert. Daher lässt sich abschließend sagen:

Der Kreuzfahrttourismus allein ist nicht das Hauptproblem des Massentourismus. Es gibt jedoch durchaus einige Fälle, in denen er eine größere Rolle spielt, wie etwa in Nassau. Diese Herausforderungen sind jedoch oft durch mangelnde Regulierung und aktiver Förderung selbstverschuldet.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen